Spark 5 | Über Spiritualität und Angst
- von B
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- 17 Apr., 2019
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»Bitte sprechen Sie nicht mehr von ‚Spiritualität‘. Dieses Wort ist mittlerweile so ausgelaugt und fade geworden. Es bezeichnet ja wirklich alles und nichts. Man kann öfter einmal solche Sätze hören, ein bestimmter Mensch sei ‚so spirituell‘ oder eben ‚gar nicht spirituell‘.
Ich frage mich, was damit ausgesagt werden soll. Geht es bei der Beschäftigung mit Spiritualität vielleicht noch am ehesten um die Sehnsucht nach etwas Geistigem, nach etwas Höherem, Reinem, Perfekten? Ist es das, was Sie mit ‚Spiritualität‘ meinen?
Sprechen Sie demnach von Ihrer Sehnsucht, wenn Sie dieses Wort benutzen? Oder meinen Sie vielleicht bestimmte Praktiken, Meditationsformen, Yoga, QiGong, Räucherrituale, Gottesdienste? Oder eine Mischung aus beidem? Ihre Sehnsucht und bestimmte Praktiken, die dieser Sehnsucht Ausdruck verleihen?
Für mich ist die Frage viel interessanter, was Sie dieses Höhere, Reinere, Perfekte überhaupt suchen lässt. Was bringt Sie dazu, dies anzustreben?
Sehen Sie, dieser Begriff ‚Spiritualität‘ meint im Ursprung ‚Geistiges‘, oder ‚Hauch‘, er bezeichnet offenbar etwas sehr Flüchtiges, schwer Greifbares. Das schwer Greifbare ist für uns Menschen sehr verführerisch, denn wir können alle möglichen Geschichten da hineinprojizieren. Der Begriff meint auch bestimmte Haltungen, die das Verbundensein mit dem Geistigen, einer höheren Macht, dem Jenseits oder der Unendlichkeit ausdrücken sollen. Das sind auch solche flüchtigen Begriffe. Es bleibt schwer greifbar. Sicher ist, dass gerade diese Haltungen und die daraus abgeleiteten Wahrheitsansprüche der Grund vielerlei Konflikte sind; innerer wie äußerer.
Alle diese sog. spirituellen Richtungen, zu denen auch die großen Religionen gehören, und ihr Wunsch, eine ‚höhere Realität‘ zu erfahren, oder wenigstens doch viele Geschichten darüber zu erfinden und permanent zu wiederholen, entspringen eigentlich doch nur der Angst des Menschen. Angst vor einer Welt, in der es Krankheit und Tod gibt, Kriege, Hunger und Armut, in der es keinen garantierten Weg einer geglückten Existenzsicherung für den einzelnen und die vielen gibt; es gibt keinen dauerhaft sicheren Schlupfwinkel für uns. Wir wissen, eines Tages werden wir sterben. Aber wir wissen nicht wann. Es kann in jedem Moment sein. Oder nicht?
Es scheint vor diesem Hintergrund quasi natürlich, dass sich die Menschen etwas ausdenken müssen, das ihnen diese Angst nimmt. So könnte man sagen, dass die Spiritualität des Menschen ihren Anfang in der Wahrnehmung und Einsicht in die eigene Sterblichkeit hat. Aus dieser Angst sind alle diese Erfindungen, Mythen, Kulte und Rituale hervorgegangen. Sie entspringen dem Horror, den die Menschen angesichts der eigenen, letztlich permanenten Lebensbedrohung -oder beim Anblick des Todes, der über andere kommt, empfinden. Der Anblick dieses Endes und seiner Konsequenzen, ist für die meisten Menschen ein Schock, etwas Unvorstellbares, die Gewissheit, selbst einmal sterben zu müssen, etwas Furchtbares, das gerne und mit allen Mitteln zur Seite geschoben wird.
Dies kann man sehr gut durch spirituelle Überzeugungen und ganze spirituelle Parallelwelten. Ein ganzes aufwändiges System an Bildern, Texten, Priestern, Mächten, Haupt- und Nebenfiguren wird von den interessierten Gründern, Verwaltern und Gläubigen dieser Systeme ins Leben gerufen und am Leben erhalten.
Das Geistige also, wie es die meisten Menschen verstehen, entspringt der Angst. Dieses Geistige ist also eine Illusion, die aus der Angst entspringt und wegen Angst aufrecht-erhalten wird. Egal, ob es in diesen Systemen um Erleuchtung oder das Einssein mit etwas Höherem, dem Kosmos oder einem Gott geht.
Warum müssen wir solche Vorstellungen überhaupt entwickeln? Vorstellungen, die aus Angst und Vergleichen kommen. Wir vergleichen uns, d.h. die Vorstellung, die wir von uns selbst haben, mit der Vorstellung, die wir von etwas Höherem, etwas Perfektem haben. Merken Sie, wie absurd das ist? Merken Sie, dass Sie dadurch das genaue Gegenteil von dem erzeugen, was Sie angeblich erzeugen wollen? Nein? Dann bleiben wir zunächst beim ‚Vorstellungenhaben‘.
Ich mache mir also eine Vorstellung, eine Idee von mir. Diese Idee wird immer limitiert sein, nicht wahr? Denn wie könnte ein endliches, limitiertes Wesen wie der Mensch mit einem nur sehr begrenzten Zugang zu Wirklichkeit und Wahrheit andere Ideen hervorbringen als solche, die sehr limitiert sind? Ich habe dann also als erstes eine limitierte Idee von mir selbst erzeugt. Und dann mache ich mich daran, mir eine Idee von der Perfektion, vom Höheren, von Gott zu machen. Wie könnte denn aber ein Wesen, das nicht einmal von sich selbst eine klare, vollständige Vorstellung hat, eine angemessene Vorstellung von der Perfektion, vom Göttlichen entwickeln? Aber genau das haben alle Religionen getan und tun alle spirituellen Schulen mehr oder weniger.
Schauen Sie, ich möchte niemanden kränken oder von etwas überzeugen, aber Sie können doch ganz einfach sehen, was ich meine. Und wenn Sie es sehen, können Sie sich fragen, ob Sie tatsächlich in einer Fiktion leben möchten oder nicht.
Denken Sie auch einmal an den Respekt, den man diesen Dingen entgegenbringt. Er entspringt auch der Angst und ist daher gar kein Respekt, sondern eben Angst. Ich mache meine Gebete, meine Verneigungen, tue gute Werke, versuche, meine Instinkte zu unterdrücken und mir eine Moral zu geben, weil ich Angst habe. Denn tue ich all das nicht, dann sündige ich und werde früher oder später dafür bestraft. Das ist in allen diesen spirituellen Parallelwelten so. Die Strafe ist jeweils unterschiedlich angelegt, entspricht den kulturellen Vorstellungen, aber sie ist immer vorhanden und weil ich nicht bestraft werden will, passe ich mein inneres und äußeres Leben diesen frei erfundenen Systemen an.
Die Vorstellung, die ich von mir habe und die, die ich von einem perfekten Wesen oder Zustand meiner selbst habe, wurden beide von mir angefertigt. Entweder habe ich sie eins zu eins übernommen oder ein wenig abgewandelt und mir dann zu eigen gemacht. Aber ich bin immer ihr Erzeuger, denn ich platziere und modifiziere sie in meinem Bewusstsein, gebe ihnen Raum, nähre sie.
Diese Vorstellungen sind frei erfunden und halten keiner noch so nachsichtigen Prüfung stand. Oder? Ich vergleiche also eine der von mir erzeugten Vorstellungen mit einer anderen von mir erzeugten Vorstellung. Beide Vorstellungen entspringen meiner Phantasie, meinem limitierten Verstand. Und der Vergleich beider limitierter und fantastischen Vorstellungen soll mir dann den richtigen Weg zeigen, meine Probleme zu lösen, soll mir helfen, mich zu entwickeln, zu verändern. Wie soll das eigentlich möglich sein?... Ich möchte nur, dass Sie darüber nachdenken. Denn Sie können nicht frei sein, wenn Sie in solchen Welten leben möchten, als wäre Ihre geistige Welt eine Art Roman.
Die Bewegung in solchen Welten verschafft Ihnen eine trügerische Sicherheit. Sie teilen Ihre Phantasien mit anderen, die dieselben Vorstellungen haben. Sie bestärken sich gegenseitig in ihren Phantasien. Und je öfter Sie sie wiederholen, desto mehr erscheinen sie Ihnen als wahr und wirklich. Ihre Intensität nimmt durch Wiederholung zu, und auch die kleinen Modifikationen, die Sie sich gestatten, bestärken das alte Konstrukt, das immer noch der Kern Ihrer Phantasie ist. Und solchen Konstrukten, den Ideen und Empfindungen, die aus solchen Parallelwelten kommen, vertrauen wir bedeutsame Entscheidungen für unser Leben an, richten unser Leben gar vollständig an deren Forderungen aus.
Ist das nicht absurd? Wie kommt es, dass wir die Dinge nicht sehen können und wollen, wie sie sind, dass wir immer in solche Ersatzwelten fliehen müssen und ihre Bedeutung und Wirksamkeit auch noch dadurch permanent erhöhen, dass wir ihre Regeln -die ja auch frei erfunden sind, befolgen, dass wir andere zur Befolgung derselben Regeln missionieren wollen, dass wir ganze Gesellschaften versuchen, daran auszurichten. Haben wir nicht schon genug Elend, Kriege und Konflikte dadurch gesehen in unserer Geschichte? Offenbar nicht, sonst würden wir ja anders handeln.
In all diesen Dingen gibt es keine Sicherheit… Heute sagen viele Menschen, dass sie die Wahrheit ihrer Meinungen ja ‚spüren‘ könnten, eine Ansicht, eine Meinung fühle sich so stark an, wie eine Gewissheit sich nur anfühlen könne. Sie nehmen also die Intensität ihres Gefühls als Ausweis für die Wahrheit ihrer Überzeugungen und Vorurteile. Ich frage nochmals, ist das nicht absurd? Gerade unsere Gefühle, was wir schätzen oder ablehnen, sind bestimmt von unserer Herkunft, unserer Prägung. Im Bereich der Gedanken lehnen wir diese Prägungen oft ganz entschieden ab, wir wollen nicht so denken wie unsere Eltern und schon gar nicht so sein. Tatsächlich sind wir unseren Gefühlen gegenüber nicht auf die gleiche Weise kritisch. Aber vielleicht sollten wir dies sein. Sie stammen letztlich aus derselben Quelle, sie sind in Teilen ererbt in Teilen anerzogen und auch auf subtile Weise durch die uns umgebende Kultur in uns eingedrungen.
Warum sollten wir also unseren Gefühlen Gehör schenken, mehr Gehör als unseren Gedanken, wenn es um die Erkenntnis der Wahrheit geht? Aber sehr viele Menschen tun dies heute, sie haben ihre Gefühle in den Status eines sicheren Wahrheits- und Richtigkeitsindikators erhoben, sie sprechen davon, dass sich etwas ‚richtig anfühle‘. Aber fühlt es sich nicht auch für den Trinker richtig an, jetzt eine Flasche Whiskey zu trinken, fühlt es sich nicht auch für den Mörder richtig an, jetzt den Schuss abzugeben?
Wissen Sie, das ist doch alles ziemlich fragwürdig. Aber wenn Sie das nicht durchschauen, wenn Sie alle diese Parallelwelten, in die Sie im Laufe Ihres Lebens hineingeraten sind, nicht hinterfragen, dann werden Sie nicht frei sein können. Aber mit der Freiheit beginnt erst alles andere.«


"Heute ist die Welt voller Daten, Informationen und Wissen. Dies ist nicht nur der Bereich der Unternehmen und der Politik, es ist auch jener der konventionellen Schulen und Universitäten... Und all diese Daten, diese Informationen und all dieses Wissen machen es den Menschen schwer, anwesend zu sein; anwesend in ihrem eigenen Leben zu sein.
Und so ausgerüstet -mit Intelligenz und Weisheit, navigieren diese Menschen geschickt durch diese unruhigen Zeiten…

Es handelt sich bei Ihren Problemen um ein Ganzes, in sich zusammenhängendes Feld. Ihr Geist wird aber durch die Suche nach Einzellösungen erstickt wird. Er ermüdet, er sieht irgendwann keinen Ausweg mehr. Wenn Sie jedoch ohne diesen fragmentierten und alles zerlegenden Geist zuhören und das Ganze betrachten, dann werden Sie sehen, dass Ihr persönliches Problem eine ganz andere Bedeutung gewinnt; und auch, wenn dieses einzelne Problem nicht sofort gelöst wird, werden Sie womöglich die wahre Ursache des Problems erkennen.